Das Amtsgericht Wiesbaden stellt die Vereinbarkeit von § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG mit dem Grundgesetz in Frage
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Richtervorlage des Amtsgerichts Wiesbaden zum Säumniszuschlag auf Prämienrückstände in der privaten Pflichtkrankenversicherung (§ 193 Abs. 6 Satz 2 VVG) als unzulässig zurückgewiesen. Die Vorlage betrifft die Frage, ob diese Vorschrift insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als der Versicherungsnehmer für jeden angefangenen Monat eines Prämienrückstandes einen Säumniszuschlag in Höhe von 1 Prozent des Prämienrückstandes zu entrichten hat.
Die gesetzliche Regelung zur privaten Krankenversicherung
Nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG ist jede Person mit Wohnsitz im Inland grundsätzlich verpflichtet, für sich selbst und für die von ihr gesetzlich vertretenen Personen eine private Krankheitskostenversicherung zu gesetzlich näher geregelten Bedingungen abzuschließen und aufrechtzuerhalten. Gerät der Versicherungsnehmer einer solchen Pflichtkrankenversicherung mit der Prämienzahlung in Rückstand, so hat er nach § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG für jeden angefangenen Monat eines Prämienrückstandes anstelle von Verzugszinsen einen Säumniszuschlag in Höhe von 1 Prozent des Prämienrückstandes zu entrichten.
Der zivilrechtliche Streit und die Richtervorlage
In der der Vorlage des Amtsgerichts zugrundeliegenden zivilrechtlichen Streitigkeit verklagte ein Versicherungsunternehmen einen Versicherungsnehmer auf Zahlung rückständiger Prämienbeiträge nebst Säumniszuschlägen nach § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG. Das Amtsgericht setzte das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor, ob § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Ungleichbehandlung zwischen zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern und säumniszuschlagszahlungspflichtigen Versicherungsnehmern?
Das vorlegende Gericht sieht eine Ungleichbehandlung zwischen zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern und säumniszuschlagszahlungspflichtigen Versicherungsnehmern seit dem Jahr 2014 und hält diese Ungleichbehandlung für nicht gerechtfertigt. Es bezieht sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 233a der Abgabenordnung (AO), die den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht die Verzinsung von Steuernachzahlungen ab dem Jahr 2014 als verfassungswidrig eingestuft, weil der Zinssatz nicht an die allgemeine Marktentwicklung angepasst wurde und daher zu hoch ist.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht hat die Richtervorlage des Amtsgerichts Wiesbaden als unzulässig zurückgewiesen. Der Beschluss des Gerichts führt aus, dass die Vorlage die gesetzlichen Anforderungen an eine Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht erfüllt. Eine Richtervorlage setzt voraus, dass ein Gericht bei einer anhängigen Rechtsstreitigkeit die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Norm für erforderlich hält, um seiner eigenen Entscheidungspflicht nachkommen zu können.
Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass das vorlegende Amtsgericht nicht hinreichend dargelegt hat, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG für die Entscheidung im zivilrechtlichen Streit tatsächlich erheblich ist. Es fehlt an einer ausreichenden Begründung, warum die vom Amtsgericht vermutete Ungleichbehandlung zwischen zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern und säumniszuschlagszahlungspflichtigen Versicherungsnehmern entscheidungserheblich sein soll.
Folgen der Entscheidung
Da die Richtervorlage als unzulässig zurückgewiesen wurde, bleibt die Verfassungsmäßigkeit von § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG ungeklärt. Das Amtsgericht Wiesbaden muss nun im zivilrechtlichen Streit zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherungsnehmer ohne Berücksichtigung der Vorlagefrage entscheiden. Die der Vorlage zugrundeliegende Frage der Ungleichbehandlung zwischen zinszahlungspflichtigen Steuernachzahlern und säumniszuschlagszahlungspflichtigen Versicherungsnehmern bleibt offen und könnte möglicherweise in zukünftigen Verfahren erneut aufgeworfen werden, sofern die Voraussetzungen für eine zulässige Richtervorlage gegeben sind.